Leviathan und der Gesellschaftsvertrag

nach Thomas Hobbes

Hobbes erörtert zunächst, wie es wäre wenn es den Staat und die durch ihn verbürgte Ordnung nicht gäbe. Die Antwort darauf ist ein Naturzustand, in dem es eine prinzipielle Gleichheit aller gibt. Eine unbegrenzte natürliche Freiheit jedes Einzelnen, allgemeine Rechtsfreiheit und den gleichzeitigen Überlebenskampf aller gegen alle. Der Staat ist also ein gemeinsames Mittel zur Wahrung und Erzwingung des inneren Friedens.

Der von Hobbes beschriebe Naturzustand ist ein rechtsfreier Raum, d. h. es gibt kein positives, vom Menschen willentlich gesetztes Recht, sondern ein natürliches Recht.

Der Unterschied zwischen Recht und Gesetz besteht darin, dass das Recht eine Freiheit beinhaltet (man darf etwas tun), das Gesetz aber eine Verbindlichkeit (man muss etwas tun).
Das Naturrecht ist das Recht, welches im Naturzustand (= Fehlen einer staatlichen Ordnung) herrscht. Es ist
„die Freiheit, nach welcher ein jeder zur Erhaltung seiner selbst seine Kräfte beliebig gebrauchen und folglich alles, was dazu beizutragen scheint, tun kann."
(Leviathan, Kap. 14).

Daraus wird das Recht aller auf alles abgeleitet. Haben aber alle ein Recht auf alles, schränken sie sich wieder gegenseitig ein. Als Folge entsteht ein Krieg alle gegen alle.

Das Recht auf Selbsterhaltung und Selbstverteidigung

Denn das Recht auf Freiheit schließt natürlich das Recht zur Selbsterhaltung und Selbstverteidigung ein. Die Selbstverteidigung darf notfalls mit allen Mitteln bis zur Zerstörung erfolgen, dies beeinhaltet ebenfalls die vorsorgliche Ausschaltung eines zukünftigen potentiellen Feindes.

Naturgesetze sind Maximen, die aus der Vernunft entstehen und dieser auch einsichtig sind. Das Gewissen (forum internum) akzeptiert sie in ihrer natürlichen Form. Diese vernünftigen Gesetze können in der Praxis nur dann allgemeine Gültigkeit erlangen, wenn es eine Staatsgewalt gibt, die für ihre Einhaltung durch Sanktionen sorgt, denn für Hobbes ist der Mensch ein Triebwesen.

Leviathan

Zwei primäre Naturgesetze

Hobbes primäre Naturgesetze besagen im Wesentlichen, dass man den Zustand des Krieges aller gegen alle beenden will. Daraus folgend also nach gemeinsamem Frieden streben muss, um sich selbst zu erhalten. Nur wenn keine Hoffnung auf Frieden besteht, verteidigt man sich selbst mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Friede kann aber nur erreicht werden, wenn jeder Einzelne auf sein Recht auf alles verzichtet.

Jeder Mensch soll mit einem Vertrag die meisten seiner Rechte freiwillig auf eine Obrigkeit übertragen:
„Also ist folgendes eine Vorschrift und allgemeine Regel der Vernunft: suche Friede, solange nur Hoffnung darauf besteht; verschwindet diese, so schaffe dir von allen Seiten Hilfe und nutze sie; dies steht dir frei. Der erste Teil dieser Regel enthält das erste natürliche Gesetz: suche Friede und jage ihm nach; der zweite den Inbegriff des Naturrechts: jeder ist befugt, sich durch Mittel und Wege aller Art selbst zu verteidigen. Aus diesem ersten natürlichen Gesetz ergibt sich das zweite: sobald seine Ruhe und Selbsterhaltung gesichert ist, muss auch jeder von seinem Recht auf alles - vorausgesetzt, dass andere auch dazu bereit sind - abgehen und mit der Freiheit zufrieden sein, die er den übrigen eingeräumt wissen will.“
(Leviathan, Kap. 14). Nach Hobbes ist das zweite Naturgesetz gleichbedeutend mit der Aussage des bekannten Sprichwortes:

„Was andere dir nicht tun sollen, tue ihnen auch nicht.“

Neben diesen beiden gibt es noch neunzehn weitere Naturgesetze nach Hobbes, die allesamt die Aufgabe haben, den Frieden innerhalb des Staates zu sichern.

  • Übertragungen von Rechten können nur freiwillig geschehen, sonst sind sie ungültig. Die Freiwilligkeit einer solchen Übertragung ist aber nur gewährleistet, wenn dadurch demjenigen, der die Rechte überträgt, ein Vorteil entsteht. Daher ist z.B. alles Recht, das die Selbsterhaltung gewährleistet, nicht übertragbar.
    Die Übertragung der Rechte erfolgt durch einen Vertrag.
  • Ungerechtigkeit ist die Verletzung des geschlossenen Abkommens; Gerechtigkeit ist der durch das Naturgesetz festgelegte Entschluss, jedem das Seinige zu geben.
  • „Wer eine Wohltat unverdient empfängt, muss danach streben, dass der Wohltäter sich nicht genötigt sehe, seine erwiesene Wohltat zu bereuen.“
    (Leviathan, Kap. 15).
  • Jeder muss dem anderen nützlich werden. Jeder Mensch, welcher der Gemeinschaft nicht nützt, muss damit rechnen, verstoßen zu werden, denn er wirkt dem Aufbau einer funktionierenden Gemeinschaft entgegen.
  • „Ein jeder muss Beleidigungen vergeben, sobald der Beleidiger reuevoll darum bittet und er selbst für die Zukunft sicher ist.“
  • „Bei jeder Rüge muss auf die Größe nicht des vorhergegangenen Übels, sondern des zu erhoffenden Guten Rücksicht genommen werden.“
    (Leviathan, Kap. 15)
  • Strafen sollen nur der Besserung des Sünders und zur Warnung anderer dienen. Die Verletzung dieses Gesetzes ist Grausamkeit.
  • Niemand darf durch Tat, Wort, Miene oder Gebärde Verachtung oder Hass gegen jemanden zeigen.
  • Alle Menschen sind von Natur aus gleich. Was die Natur gleich gemacht hat, soll auch im Staat gleich sein. Die Verletzung dieses Gesetzes bezeichnet Hobbes als Arroganz.
  • Niemand soll bei einem Friedensschluss ein Recht für sich verlangen dürfen, dass er dem anderen nicht zugestehen will.
  • Streitsachen sollen von einem unparteiischen Richter entschieden werden.
  • Den Urteilsspruch eines unparteiischen Richters muss man sich gefallen lassen, denn sonst hat der Streit zwischen Parteien im Staat nie ein Ende und der Friede ist nicht gesichert. Ferner sollen Zeugenaussagen Streitereien über eine Sache entscheiden.
  • und weitere...

Für Hobbes ist die Kenntnis der Naturgesetze die „wahre Sittenlehre“
(Leviathan, Kap.15). Seine Philosophie sieht er als Garanten für den Frieden im Staat und Mittel zur Vermeidung eines Bürgerkrieges.

Der Gesellschaftsvertrag

Die Menschen erkennen also aus der Vernunft heraus , dass es ihrer Selbsterhaltung dienlicher ist, ihr Recht auf alles aufzugeben (unter der Voraussetzung, dass es die anderen auch tun), den Krieg aller gegen alle zu beenden und unter Anerkennung der Naturgesetze in Frieden zu leben.

Die Einhaltung der Naturgesetze kann aber nur von einem starken Staat garantiert werden. Denn die Verletzung des friedlichen Zusammenlebens muss mit einer wirksamen Sanktion bedroht werden. Die Ahndung kann aber nicht von den streitenden Parteien selbst unternommen werden, da sie sich dann weiterhin im Naturzustand befänden. Es muss also ein unbeteiligter Dritter mit jenen Machtmitteln ausgestattet werden, die das wirksame Einschreiten gegen einen Bruch der Verpflichtung zur Friedlichkeit erlaubt. Die Menschen schließen aus diesem Grunde einen gemeinsamen Gesellschaftsvertrag. Die Legitimation der Macht wird bei Hobbes also nicht mehr von Gottes Gnaden abgeleitet, sondern von der Vernunft der Menschen. Doch es ist nicht der Staat, mit dem der Einzelne einen Vertrag schließt, sondern es ist ein Vertrag eines jeden Menschen mit jedem anderen Menschen im Staat.

Im Gesellschaftsvertrag übertragen alle Menschen einen Teil ihrer Freiheit und das Recht sich selbst zu „regieren“ auf eine zentrale Autorität (den Staat), der mit dem Gewaltmonopol ausgestattet ist (= Souverän) und bekommen dafür Frieden und Ordnung. Hobbes´ Ideal ist dabei ein absolutistischer Monarch, da jener den inneren Frieden besser behaupten könnte als z. B. ein Parlament, indem wieder allein aufgrund der Vielheit der Entscheidungsträger der Unfriede weitergepflegt wird.

Durch die kollektive Übertragung der Macht auf eine Obrigkeit entsteht eine Gewalt, die stark genug ist, die Naturgesetze zu garantieren und den Frieden zu sichern.

Ein Staat entsteht.

Hobbes Definition vom Staat:
„Ein Staat ist eine Person, deren Handlungen eine große Menge Menschenkraft der gegenseitigen Verträge eines jeden mit einem jeden als ihre eigenen ansehen, auf dass diese nach ihrem Gutdünken die Macht aller zum Frieden und zur gemeinschaftlichen Verteidigung anwende.“ (Leviathan, Kap. 17)

Dieser Hobbesche Gesellschaftsvertrag kombiniert also zwei Rechtsakte: einen wechselseitigen Vertrag, in dem jeder gegenüber jedem auf die Ausübung des natürlichen Rechts auf alles verzichtet und eine einseitige Übertragung der Befugnis zur Erzwingung der Einhaltung dieses Vertrages an eine Person oder eine Versammlung. Die Art der Ausübung der Staatsmacht ist durch den Urvertrag nicht geregelt, der Souverän ist ermächtigt, das Gewaltmonopol nach Gutdünken zu handhaben.

Einem Staat kommt nach Hobbes gottähnliche Macht auf Erden zu, so stark ist er; da er aber theoretisch in den Bürgerkrieg zurückfallen kann, nennt Hobbes den Leviathan einen „sterblichen Gott“:

„So entsteht der große Leviathan, der sterbliche Gott, dem wir unter dem ewigen Gott allein Frieden und Schutz zu verdanken haben. Dieses von allen und jedem übertragene Recht bringt eine so große Macht hervor, dass durch sie die Gemüter aller zum Frieden unter sich geneigt gemacht und zur Verbindung gegen ausländische Feinde leicht bewogen werden.“ (Leviathan, Kap. 17)

Die Rechte des Souveräns

  1. Der Urvertrag unter den Menschen ist unkündbar, denn jede Auflösung würde die Wiederherstellung des Naturzustandes bedeuten. Der Souverän ist daraus folgend unabsetzbar.
  2. Die Entscheidungen des Souveräns sind unanfechtbar. Da die Untertanen dem Souverän freiwillig zur Wahrung der inneren und äußeren Sicherheit eine Generalermächtigung gaben, haben sie damit auch ihr bedingungsloses Einverständnis mit allen Maßnahmen des Souveräns zum Ausdruck gebracht. Alle Entscheidungen des Herrschers sind unmittelbar Ausdruck des Willens seiner Untertanen. Widersprechen die Untertanen dem Herrscher, widerrufen sie damit gleichzeitig ihre Generalvollmacht , d. h. sie fallen in den Naturzustand zurück. Der Souverän ist insofern nur das ausführende Organ des politischen Willens der Untertanen, er ist ihr Vertreter oder Repräsentant, während die Vertragsschließenden die Autoren der Handlung des Souveräns bleiben.

    Widerstand gegen die Staatsgewalt ist nur dann rechtmäßig, wenn eine Person sich selbst vor dem Tod zu schützen versucht. Dabei handelt es sich um ein Notwehrrecht, das seine Begründung im natürlichen Recht auf Selbsterhaltung hat.
  3. Eine verfassungsrechtliche Beschränkung der Macht des Souveräns ist logischerweise nicht möglich. Dazu müsste sich die Urversammlung selbst bereits als Souverän eingesetzt haben. Dies kann jedoch nicht sein, weil sie dann einen Vertrag mit sich geschlossen haben müsste, was nicht möglich ist, weil sie als Körperschaft (juristische Person) noch gar nicht existiert
  4. Die Macht des Souveräns ist absolut. Der Souverän steht über dem von ihm selbst gesetzten Recht, eine Verantwortung besteht daher nur vor Gott. Allerdings bleibt er an den Zweck des Vertragsschlusses gebunden. Daher können die Untertanen ihm die Anerkennung als Souverän in dem Moment entziehen, in dem der Souverän zu schwach geworden ist, um die Erfüllung des Vertragszwecks weiterhin zu gewährleisten.
  5. Eine Gewaltenteilung im Staat ist widersinnig. Im Falle eines Konfliktes zweier Gewalten gäbe es nämlich keine Instanz, die eine unwiderrufliche Entscheidung durchsetzen könnte.
  6. Aus der absoluten Machtfülle des Souveräns leiten sich die politischen Hoheitsrechte des Souveräns ab: Der Souverän beschließt Gesetze und überwacht deren Ausführung. Er unterhält und befehligt eine Polizei sowie eine Streitmacht zur Wahrung der inneren und äußeren Sicherheit, er ist oberster Richter und entscheidet letztlich über Krieg und Frieden. Darüberhinhaus weist er in einem Akt ursprünglicher Vermögensaufteilung den Untertanen ihr Eigentum zu.

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Zitat

„Was andere dir nicht tun sollen, das tue du auch ihnen nicht.“

- Thomas Hobbes